„Opfer sind nie schuld, nur die Täter“

INTERVIEW: Gewaltpräventionstrainer Kelly Sach über Mittel und Wege, Kinder gegen Mobbing und Gewalt zu wappnen – Am Mittwoch Kurs am Binnendamm

BOBENHEIM-ROXHEIM. Kinder sind das schwächste Glied in der Gesellschaft und immer wieder An- und Übergriffen von Mitschülern oder Fremden ausgesetzt. Was können sie und ihre Eltern tun, um Mobbing und sexualisierter Gewalt vorzubeugen? Wir haben mit Kelly Sach gesprochen, Gewaltpräventions- und Kommunikationstrainer vom Bundesverband Selbstbewusst und stark. Am Mittwoch leitet er im Auftrag des Jugendförderzentrums des SC Bobenheim-Roxheim einen Selbstsicherheits- und Selbstbehauptungskurs für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren.

Herr Sach, wie sollten sich Kinder verhalten, wenn sie gemobbt werden? Was können die Eltern tun? Ich sage den Kindern zuallererst, dass sie keinerlei Schuld tragen, wenn sie gemobbt werden. Die Opfer sind nie schuld, sondern nur die Täter. Außerdem sollten sie sich jemandem anvertrauen, der ihnen zuhört – einem Freund, den Eltern oder dem Lehrer. Das Wichtigste ist, sich nicht abzukapseln. Die Eltern sollten dem Kind auf jeden Fall immer Gehör schenken. Häufig sind beide Elternteile berufstätig und gestresst, wenn sie nach Hause kommen, und sich oft gar nicht bewusst, dass ihre Kinder auch schwerwiegende Sorgen haben. Manche Kinder trauen sich dann gar nicht, etwas anzusprechen.

Wie erkennt man, ob ein Kind gemobbt wird, wenn es nicht spricht? Unter den Begriff Mobbing fällt ja vieles. Das fängt an mit Beleidigungen, Sachen wegnehmen und anrempeln und hört bei Straftaten auf. Die meisten gemobbten Kinder wollen nicht mehr zur Schule gehen und erfinden Krankheiten. Sie ziehen sich zurück und haben kaum noch Kontakte. Die Schulleistungen sinken ab. Viele sind gereizt, nervös, überempfindlich, appetitlos und haben Schlafstörungen. Manchmal wird jemand sogar erpresst oder geschlagen. Das kann man zum Beispiel daran erkennen, dass das Kind ständig unter einem Vorwand nach Geld fragt oder oft Prellungen oder blaue Flecken hat.

Welche Anlaufstellen gibt es? Am wenigsten ratsam ist es, die Eltern des Täters anzurufen. Man sollte immer einen Schlichter oder eine dritte Person hinzuziehen. Zunächst sollte man sich an den Lehrer wenden, der dann die Schulleitung einschalten kann, wenn er nicht weiterkommt. Außerdem gibt es noch Streitschlichter, Schulsozialarbeiter, das Jugendamt und Beratungsstellen wie die Caritas. Wenn es gar nicht mehr geht, kommen häufig wir ins Spiel. Als Außenstehende haben wir oft mehr Einblick in die Materie als Lehrer. Viele Schulen melden sich aber erst, wenn das sprichwörtliche Kind in den Brunnen gefallen ist. Wir wollen lieber frühzeitig sensibilisieren – also Prävention statt Intervention.

Gewalt an Schulen ist ein ernstes Thema.Wie Kinder sich dagegen wehren können, soll ein Kurs in Bobenheim-Roxheim aufzeigen.
Gewalt an Schulen ist ein ernstes Thema.Wie Kinder sich dagegen wehren können, soll ein Kurs in Bobenheim-Roxheim aufzeigen. Foto: DPA

Momentan scheint Cyber-Mobbing zum Problem zu werden. Was kann man dagegen tun? Beim Cyber-Mobbing werden nicht nur Beleidigungen, sondern auch Bilder und Videos ins Internet gestellt, um die Opfer lächerlich zu machen. Jeder dritte bis vierte Jugendliche wird laut Statistik straffällig im Internet. So kann man versuchen, bei den Tätern Bestrafungen zu erwirken, was recht teuer werden kann. Da hilft dann auch die Polizei.

 

Sie sprechen im Kurs auch über sexualisierte Gewalt. Wie verhalte ich mich als Kind, wenn mich ein Fremder anspricht? Die erste Regel lautet: keinem Fremden trauen. Außerdem sollte man seinem Bauchgefühl vertrauen und nie zu nah an Fremde, zum Beispiel an Autotüren, herangehen. Kinder werden mit den unterschiedlichsten Lügen und Versprechungen gelockt. Wenn Fremde ihnen zu nahe kommen, sollten Kinder die Hände vorstrecken und laut „Stopp“ rufen oder „Fass mich nicht an“. Wir geben den Kindern auch weiter, sich auf ihrem Schulweg zu überlegen, wohin sie im Notfall flüchten können, zum Beispiel in eine Bäckerei, in der man sie kennt.

Wie kann ein Kind eine solche Situation richtig einschätzen lernen? Im Kurs üben wir das in Rollenspielen. Mit Hilfe von Bildern lernen die Kinder zudem, Körpersprache richtig zu deuten sowie stark und selbstbewusst zu werden, sich also vor fremden Leuten nicht in schüchterner Opferhaltung zu zeigen, sondern aufrecht dazustehen und ihnen direkt ins Gesicht zu blicken.

Und wie kann sich ein Kind wehren, wenn es bereits angegriffen wird? Es sollte am besten „Feuer“ schreien, denn auf „Hilfe“ hört fast keiner mehr. Es sollte versuchen, Erwachsene auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Wenn der Täter einen gepackt hat, ist alles erlaubt: kratzen, an den Haaren ziehen, in die Augen stechen.

Werden denn im Kurs auch Selbstverteidigungstechniken erlernt? In der ersten Kursstunde sprechen wir über die Theorie, also was man bei Mobbing tun kann und wie man sich Fremden gegenüber verhält. In der zweiten Stunde geht es darum, wie man sich richtig verteidigt. Wir werden ein paar einfache, aber hilfreiche Abwehr- und Hebeltechniken aus dem Ju-Jutsu für die Selbstverteidigung kennenlernen, die einen Angreifer für ein paar Sekunden außer Gefecht setzen, um wegrennen zu können.

Interview: Esther Krna

 

Info:

Der Kurs findet von 17 bis 19 Uhr im SC-Förderzentrum für Jugend und Soziales, Am Binnendamm 20, in Bobenheim-Roxheim statt. Er kostet acht Euro inklusive Unterlagen und Teilnehmerurkunde. Anmeldung und weitere Infos: www.stifung-boro.de unter Leistungsspektrum/ Gewaltprävention, in der Geschäftsstelle des Förderzentrums, Telefon 06239 2451, Dienstag bis Donnerstag, 15.30 bis 17.30 Uhr, oder per E-Mail an  gewaltpraevention@bernd-jung-stiftung.de   oder über die Stiftung Christel und Manfred Gräf, Telefon 06239 8614. Weitere Infos zum Thema unter www.selbstbewusst-und-stark.de .


Quelle: Verlag: DIE RHEINPFALZ Publikation: Frankenthaler Zeitung Ausgabe: Nr.108 Datum: Samstag, den 11. Mai 2013 Seite: Nr.19 „Deep-Link“-Referenznummer: ’91_10912199′ Präsentiert durch DIE RHEINPFALZ Web:digiPaper