Helden müssen erraten werden

Bobenheim-Roxheim: Spielerisch stärkt ein neues Projekt an der Rheinschule die Konzentrationsfähigkeit und Teamarbeit der Kinder. Seit diesem Schuljahr bietet die Bernd-Jung-Stiftung dort soziale Gruppenarbeit für Drittklässler an. Und dabei können auch mal die Schuhe getauscht werden. Ein Besuch.  Von Sophie LeitertHüpfen, pfeifen, Schuhe schnappen: Der pädagogische Mitarbeiter Benjamin Grau trifft sich zwei Mal in der Woche mit einer kleinen Gruppe von Drittklässlern und fördert sie spielerisch.                                                                               Foto:Bolte

„Seid ihr dabei bei den Regeln?“, fragt Benjamin Grau die vier Kinder. Die Verhaltensregeln wurden zu Beginn der Stunde wiederholt: nicht reinrufen, sich melden, den Nachbarn nicht ärgern, andere ausreden lassen und sich konzentrieren. Einfach gesagt, aber den Drittklässlern fällt das im Schulalltag noch schwer.Konzentration, Aufmerksamkeit, selbstständiges Erarbeiten einer Lösung und die Arbeit in Gruppen sind Schlüsselqualifikationen im Leben. Bei der sozialen Gruppenarbeit sollen diese Fähigkeiten durch gemeinsame Spiele gefördert werden. Die Kinder werden motiviert und in ihrem Selbstvertrauen gestärkt – doch sie sollen nicht spüren, dass ein pädagogisches Konzept dahintersteht. Auch heute lernen die Kinder in der Gruppe ein neues Spiel, und Benjamin Grau erklärt die Regeln locker vor dem Tisch der Kinder knieend: Alle sollen einen Schuh ausziehen und auf einem Bein hüpfen. Sobald Grau aufhört zu pfeifen, sollen sich alle einen fremden Schuh schnappen. Aber für Lena* bleibt nur ihr eigener Schuh. „Wie löst ihr das jetzt?“, fragt Grau. Die Kinder brauchen wenige Minuten. Dann suchen sie denjenigen, dem der Schuh gehört, und flüstern ihm ihre Lieblingsfarbe ins Ohr, in der zweiten Runde das Lieblingsessen. Beides müssen sie sich bis zum Schluss merken.

Benjamin Grau ist Pädagoge bei der Bernd-Jung-Stiftung, und hat die Drittklässler, die förderbedürftig sind, zum Beginn des Schuljahres kennengelernt. Ziel ist es, den Schülern den Übergang zur weiterführenden Schule zu erleichtern. Das Konzept hat die Stiftung erarbeitet und kann es dank einer Spende der BASF nun in der Rheinschule seit diesem Jahr anbieten – die Summe wird jedoch nicht genannt. Schulleiter Andreas Mock war sofort von dem Projekt begeistert und möchte eng mit der Stiftung zusammenarbeiten. Obwohl Benjamin Grau kein Teil des Lehrerkollegiums an der Schule ist, tauscht er sich regelmäßig mit ihnen aus. Er kann auf die Kinder anders zugehen, hat Schulleiter Mock beobachtet. „Jemand der keine Noten vergibt, hat einen anderen Zugang zu den Kindern.“

Optimal wäre es, wenn die Stiftung schon im Kindergarten verhaltensauffällige Kinder pädagogisch betreuen und über die Grundschule bis in die weiterführende Schule begleiten kann, sagt Harald Stark, Geschäftsführer der Stiftung. Dann könnten sie sich an eine Vertrauensperson gewöhnen und eine langjährige persönliche Beziehung aufbauen. „Bobenheim-Roxheim hat die perfekten Voraussetzungen dafür“, erklärt Wolfgang Kaufmann, ehrenamtlicher Begleiter der Stiftung in pädagogischen Fragen. „Bei den Kleinen kann man noch am meisten bewirken. Nach der sechsten Klasse kann man meistens nur noch Schönheitskorrekturen machen“, weiß Kaufmann durch seine langjährigen Erfahrungen in der Arbeit mit Jugendlichen beim Zentrum für Arbeit und Bildung in Frankenthal.

Gleich heißt es Mädchen gegen Jungs. Beim nächsten Spiel „Galgenmännchen“ sind Teamarbeit und Aufmerksamkeit gefragt. Das Spiel funktioniert so: Grau denkt sich ein Wort aus, und zeichnet so viele Unterstriche an die Tafel, wie das Wort Buchstaben hat. Lena* und Helen* sowie Milan* und Arian* bilden ein Team. Im Team sollen sie die Buchstaben erraten, die in dem Wort vorkommen könnten. Ziel ist es, keinen Buchstaben doppelt zu nennen und sich mit dem Partner auf einen Buchstaben zu einigen. „Ihr seid ein Team, ich möchte, dass ihr euch besprecht“, ermutigt der Pädagoge die Schüler. Doch erst sprechen sich die Kinder nicht richtig ab, und als Arian einfach einen Buchstaben sagt, der nicht im gesuchten Wort vorkommt, protestiert Milan, der gerne einen anderen Buchstaben genannt hätte. „Das muss ich jetzt trotzdem werten“, sagt Grau und macht ein Kreuz für die Jungs an der Tafel für den falschen Buchstaben. Ab jetzt klappt es mit dem C. Die Kinder sind fixiert darauf, die Lösung gemeinsam zu erarbeiten. Die Situation nutzt Grau, um die Kinder zu loben. „Ihr redet leise, kippelt nicht mit dem Stuhl, hört einander zu und quatscht nicht rein – ihr seid super!“ Schließlich lösen die Kinder das gesuchte Wort „HELDEN“.

*Die Namen der Kinder wurden von der Redaktion geändert.


Quelle: Bild und Text – Die Rheinpfalz Frankenthaler Zeitung – Nr. 204, Montag, den 3. September 2018